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Empfehlung
Routinemäßige Flächendesinfektion zur Verhütung und Kontrolle Antibiotika resistenter Krankheitserreger
Führende US amerikanische Hygieniker fordern routinemäßige Flächendesinfektion zur Verhütung und Kontrolle Antibiotika resistenter Krankheitserreger im Krankenhaus und in anderen medizinischen Bereichen
Verantwortlich:
Prof. Dr. med. habil. A. Kramer (I. Vorsitzender)
Dr. jur. A. Schneider (2. Vorsitzender)
Im Journal of Hospital Infection (2001; 48, Supplement a: 64 68) fordern die führenden US amerikanischen Hygieniker W. A. Rutala Lind D. J. Weber, die die Center for Disease Control and Prevention (CDC) in Fragen der Desinfektion und Sterilisation beraten, auf der Grundlage einer Risikoanalyse und Bewertung des Erkenntnisstands die Reinigung und Desinfektion patientennaher Flächen routinemäßig sowie nach Entlassung von Patienten und halten darüber hinaus die Desinfektion von Fußböden im Patientenbereich als Maßnahme zur Kontrolle von Krankenhausinfektionen für sinnvoll.
Sie begründen ihre Präventionsempfehlungen kurzgefasst wie folgt:
- Bei den bisherigen Risikoanalysen wurde die Bedeutung von Flächen als indirekte Infektionsquelle (z.B. über Kontamination der Hände von Patienten und medizinischem Personal) unterschätzt.
- Flächen können nach heutiger Erkenntnis Bedeutung bei der Übertragung epidemologisch wichtiger Krankheitserreger wie Methicillin resistente Staphylococcus aurereus Stämme (MRSA) Vancomycin resistente Enterokokken, (VRE) oder Viren (Rotaviren, Rhinoviren) haben. Eine Reihe wichtiger Erreger nosokomialer Infektionen kontaminieren das patientennahe Umfeld einschließlich des Fußbodens und können Wochen bis Monate auf trockenen Oberflächen persistieren.
- klassische und moderne epidemiologische sowie genotypische Identifizierungsverfahren belegen die Effektivität chemischer Desinfektionsverfahren bei der Kontrolle von Ausbrüchen durch Antibiotika resistente Mikroorganismen
- Desinfektionsverfahren sind weitaus effektiver als Reinigungsverfahren (Detergentien) zur Abtötung bzw. Inaktivierung von Krankheitserregern auf Flächen
- Reinigungsmittel sind häufig rasch mit nosokomialen Infektionserregern kontaminiert und führen dann zu deren Ausbreitung in das unmittelbare Patientenumfeld. Das betrifft u. a. Pseudomonas aeruginosa und Campylobacter sowie Enterobacteriaceae.
- Entsprechend der US-Isolierungsrichtlinie müssen medizinische Geräte, die mit Blut, Körperflüssigkeiten, Sekreten oder Exkreten verunreinigt sind, gereinigt und desinfiziert werden. Die gleiche Richtlinie empfiehlt die Reinigung und Desinfektion von patientennahen Flächen wie Bettgestell, Nachttisch, Tische, Schränke und Türgriffe zur Kontrolle nosokomialer Infektionserreger wie insbesondere von Enterokokken, die in unbelebten Umfeld des Patienten über lange Zeit überleben können.
- Neuere Desinfektionsmittel haben anhaltende antimikrobielleWirkungen. Durch Transfer antimikrobieller Komponenten (Silber) können auf Flächen über einen Zeitraum von bis zu 13 Tagen andauernde antimikrobielle Effekte erzielt werden.
- Durch Anwendung eines einzigen Präparates (Desinfektionsmittel) kann für das in der Regel unzureichend ausgebildete Reinigungspersonal die Sicherheit einer qualitätsgesicherten Anwendung erhöht werden.
- Für die ausschließliche Erwähnung von Desinfektionsmitteln unter Ausklammerung von Reinigungsmitteln als möglichem Belastungsfaktor für die Reinigungsstufen von Kläranlagen gibt es keine Begründung, da durch Reinigungsmittel eine analoge bzw. wirkstoffabhängig höhere Belastung von Kläranlagen resultieren kann.
(Die in Deutschland hauptsächlich angewendeten aldehydischen Desinfektionsmittel und Desinfektionsverfahren auf der Basis von Sauerstoff abspaltenden Verbindungen gelten als umweltverträglich).
- Die zusätzlichen Kosten durch Einsatz von Flächendesinfektionsmitteln sind minimal im Vergleich zu den Gesamtkosten eines Krankenhauses. Nach Angaben von Rutala und Weher betragen sie für ein 930 Betten Krankenhaus 2000 $ p. a. ( in US $ 1987). Eine einzige hospitalerworbene Infektion ist hiernach teurer als die jährlichen Kosten bei Verwendung eines Flächendesinfektionsmittels.
- Für die Hypothese einer Selektion Antibiotika resistenter Mikroorganismen durch Anwendung, von Flächendesinfektionsmitteln gibt es keine Hinweise.
Aus o. g. Gründen werden nach Einschätzung der Autoren in den meisten US amerikanischen Krankenhäusern auch sog. nichtkritische Oberflächen routinemäßig desinfiziert. Zur Verifizierung der klinischen Konsequenzen der Flächendesinfektion sollten nach Auffassung der Autoren ergänzende Studien durchgeführt werden.
Kommentar des Vorstands der DGKH
Entsprechend der amtlichen Begründung zum Infektionsschutzgesetz werden in deutschen Krankenhäusern mindestens 525 000 Krankenhausinfektionen pro Jahr mit einer jährlichen gesundheitsökonomischen Belastung von 2,53 Milliarden DM ohne Berücksichtigung sozialer Folgekosten erworben. Mindestens 30 % dieser Infektionen können durch krankenhaushygienische Maßnahmen verhütet werden.
In diesem Zusammenhang wird auf die Risikoeinschätzung der Flächenkontamination und die Stellung der Flächendesinfektion als unerlässlicher Bestandteil der Multibarrierenstrategie zur Prophylaxe nosokomialer Infektionen innerhalb des Konzepts der Primärprävention hingewiesen, wie sie in Übereinstimmung mit den amerikanischen Autoren von der DGKH, der Desinfektionsmittelkommission der DGHM und der AWMF vertreten wird.
Dem steht die Auffassung des nationalen Referenzzentrums für Krankenhaushygiene (NRZ) entgegen, die die routinemäßige Flächendesinfektion wegen ihrer bisher nicht bestätigten epidemiologischen Evidenz für entbehrlich hält. Diese Risikobewertung des NRZ wird nicht zuletzt auf Grund des klaren Statements der US amerikanischen Fachleute zur Flächendesinfektion vor allem aus folgenden Gründen abgelehnt:
- Die minimale Wirksamkeit von Reinigungsverfahren bei der Verminderung insbesondere von Antibiotika resistenten aber in gleicher Weise auch der übrigen Krankheitserreger einschließlich Viren stellt ein erhebliches Risikopotenzial dar.
- Auf Grund der minimalen oder fehlenden antimikrobiellen Wirkung von Reinigungsmitteln besteht das Risiko einer Kontamination des Reinigungsmittels z. B. mit Antibiotika resistenten Bakterien und deren anschließender Ausbreitung über kontaminierte Reinigungsmittel bzw. utensilien in das Patientenumfeld.
Die derzeit (seit 1987) geltende Anlage der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zur "Hausreinigung und Flächendesinfektion" steht in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Rutala und Weber. Unter Zugrundelegung neuer Erkenntnisse zur Bedeutung der Flächen in der Epidemiologie nosokomialer Infektionen wird diese Anlage im Auftrag der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch Institut z. Z. überarbeitet und aktualisiert.
Es ist davon auszugehen, dass für die Abklärung von Ausbrüchen nosokomialer Infektionen und damit im Zusammenhang stehender Rechtsverfahren der Einschätzung der US amerikanischen Hygieniker erhebliche Bedeutung zukommen wird. In derartigen Rechtsverfahren ist mit der sog. Beweislastumkehr zu rechnen, d. h. ein Krankenhaus muss beweisen, dass aufgetretene Infektionen nicht im Zusammenhang mit der ausschließlichen Verwendung von Reinigungsverfahren anstelle von Desinfektionsverfahren stehen. Da das nationale Referenzzentrum für Krankenhaushygiene bislang keinen wissenschaftlichen Beleg für die Gefahrlosigkeit des Verzichts auf die routinemäßige Anwendung von Flächendesinfektionsrnaßnahmen vorgelegt hat, gehen Krankenhäuser ein Rechtsrisiko ein, wenn sie dieser Empfehlung folgen.
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